erschienen auf die-stadtzeitung.de am 22. April 2024, Autor: Peter Pionke

„Pflege am Limit!“ heißt die Kampagne, mit der sich privat geführte Ambulante Pflegeunternehmen gegen die drohende Insolvenzwelle positionieren. Jahrzehnte lang dämmerte die Pflegebranche im Dornröschenschlaf dahin. Nahm Beschlüsse, Gesetzesreformen und zuletzt auch die Tarifpflicht ohne Protest hin. Scheinbar zu unbeweglich, zu statisch und unfähig, ihre eigenen Interessen zu vertreten.

Michael Wessel macht seinen Standpunkt beim engagierten Gedankenaustausch am „Runden Tisch“ deutlich – © Pflege Wessel

Wer frühzeitig vor Schieflagen gewarnt hatte, blieb allein auf weiter Flur. Zu groß offenbar das Konkurrenzdenken, zu gering die Einsicht, im selben Boot zu sitzen. Das ändert sich jetzt, und zwar schlagartig. Denn viele privat geführte ambulante Pflegedienstleister stehen vor der Pleite. Mehr als 800 Insolvenzen und Geschäftsaufgaben hat es im Jahr 2023 gegegen. Tendenz: anhaltend.

Alarmierende Zahlen, ein Aufwachprogramm wie mit dem Vorschlaghammer für viele Pflege-Unternehmer. Sie sehen ihr Lebenswerk gefährdet und bündeln jetzt endlich ihre Energien in gemeinsamen Kampagnen und einem Brandbrief an die Landes- und Bundespolitik.

„Pflege am Limit!“ heißt die Kampagne, die Michael Wessel, Inhaber Pflege Wessel in Wuppertal, im März dieses Jahres ins Leben gerufen hat. Mit der Webseite www.pflege-am-limit.de macht das Unternehmen mit plakativen, emotionalen Bildern und Zitaten von Pflegebedürftigen und Pflegekräften darauf aufmerksam, was passiert, wenn demnächst der Ambulante Pflegedienst nicht mehr zu den Pflegebedürftigen kommt.

Öffentlichkeit soll wachgerüttelt werden

Die Kampagne rüttelt auf und zeigt Wirkung: Vor allem pflegende Angehörige, die vielleicht bald ganz ohne die Unterstützung professioneller, ambulanter Pflegedienst auskommen müssen. „Wir wollen die Öffentlichkeit wachrütteln und darüber informieren, dass die Pflege mit immer höheren Kosten konfrontiert ist, die nicht mehr finanzierbar sind“, erklärt Michael Wessel.

Neben einem Ambulanten Pflegedienst betreibt Wessel unter anderem ambulant betreute Wohngemeinschaften für Demenzkranke. „Auch die Kostenspirale für Pflegebedürftige ist viel zu weit nach oben gedreht worden, so dass fast jeder im Alter zum Sozialhilfe-Empfänger wird,“ sieht Michael Wessel für die Zukunft schwarz, falls sich nicht Grundlegendes ändert.

Aber nicht nur das! Beim zweiten Runden Tisch der Pflege, der jetzt in Wuppertal stattfand, war die Rückmeldung der anwesenden Unternehmer erschreckend. „Wir müssen bereits Patienten ablehnen, weil wir mit Anfahrt und Leistungserbringung so lange beschäftigt wären, dass wir am Ende draufzahlen“, klagt Knut Damerow von der  Lebensplus GmbH in Aachen.


Michael Wessel, Inhaber des Wuppertaler Pflegedienstes Wessel, wurde zum Vorkämpfer für die gesamte Pflegebranche  – © Pflegedienst Wessel

Im ländlichen Gebiet sprechen die Unternehmen nicht mehr von Leistungseinschränkung, sondern von Versorgungslücken. Knut Damerow: „Wir können viele hilfebedürftige Patienten nicht mehr versorgen.“ Auch Claudia Weber von Cura in Köln muss reihenweise Anfragen ablehnen, um ihr Unternehmen nicht in den Ruin zu treiben: „Wir berechnen bei jedem Patienten, ob er sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnt. Anders geht es aber leider nicht. Schlimm, was aus der Pflege geworden ist!“

Die Gründe für die Schieflage sind vielfältig: Die Kosten stiegen seit Einführung der Tarifpflicht um mehr als 25 Prozent, werden jedoch nur bis zu 15 Prozent maximal refinanziert. Einzelne Pflegetätigkeiten können zwar höher abgerechnet werden, doch der Deckel der Pflegegrade ist nicht gestiegen. Das bedeutet Leistungskürzungen am Patienten, denn der zur Verfügung stehende Betrag des Pflegegrades ist nun schneller aufgebraucht.

Berechnungsgrundlagen zum Teil über 20 Jahre alt

Auch ist pro Patient, der mehrere ärztlich verordnete Leistungen bei demselben Einsatz erhält, nur die höchstwertige abrechenbar. Alle weiteren, die verpflichtend erbracht werden müssen, sind kostenlose Serviceleistungen der Pflegedienste. „Wir haben zu lange geschwiegen und alles mitgemacht“, sagt Thomas Mosel von Comfort Pflege Ostviertel in Münster.

Mangels Lobby, vor allem aber mangels Unterstützung seitens der Verbände und der Politik. „Unsere Investitionskosten sind jahrelang nicht angepasst worden, die Berechnungsgrundlagen dafür sind zum Teil älter als 20 Jahre“, unterstreicht Claus Lebschy von Mobile Häusliche Pflege GmbH aus Hessen.

Die Politik ist gefordert – so der Tenor der Unternehmer. Daher verfassen sie nun einen gemeinsamen, dringenden und unmissverständlichen Appell an die Landes- und Bundesregierung.

Informationen zur Kampagne, Termine und Unterstützer finden Sie unter:

www.pflege-am-limit.de

Lesen Sie in Kürze an gleicher Stelle das große Interview mit Michael Wessel über das Thema „Ambulante Pflege“